3. Funktionen von Mythen
Mythen hatten in einer Zeit, die als magische Phase der Menschheit
bezeichnet werden kann, die Aufgabe die Welt zu erklären. Die ständige
Frage nach dem Warum stellten in dieser Zeit nicht nur die Kinder,
sondern auch die Erwachsenen. So bildete sich eine Spiritualität aus,
die die Natur als eine weibliche Gottheit 1,
die Urmutter, die später die sog. Große Göttin wurde, verehrte und/oder
in der Tiere (z. B. die Schlange) und Pflanzen (z. B. der
Weltenbaum)
als
heilig verehrt wurden (Animismus). Die natürliche Moralität des Menschen erübrigte jedes geschriebene Gesetz oder Gebot.
Als sich gesellschaftliche, patriarchalische Strukturen
entwickelten, benötigten die neuen Führungspersonen eine Legitimation. 2 Die
Mythen, wurden fortan und bis in diese Tage dazu benutzt, Herrschaftsansprüche
über Mensch und Natur zu erklären und damit zu festigen. Das nennen
wir heute Religion. Dazu wurden
die Mythen nach Bedarf angepasst. Dies war jedoch ein schleichender
Prozess, dem nicht alle Teile der Geschichten zum Opfer fielen. Die
Tiere
im Pantheon verloren zunehmend an Bedeutung, die Menschen schufen
sich Gottheiten nach ihrem Ebenbild. Behauptet und schriftlich niedergelegt
wurde das Gegenteil, siehe Erstes Gebot des Alten Testamentes. Dennoch
immer nur kleine Änderungen waren durchsetzbar: So ist es noch heute,
wenn wir unseren Kindern
Geschichten erzählen. Tiere wurden beispielsweise wieder zu Tieren
und damit harmlose Statisten, Pflanzen wurden zur Requisite. Die
Große Göttin, die Leben und Tod, Gut und Böse in sich vereinte, wurde
zerstückelt in verschiedene Göttinnen, die schließlich nur noch Ehefrauen
eines obersten Gottes waren. Ein gutes Beispiel für diesen Prozess
ist Ishtar. Sie wird uns zwar als Liebes- und Kriegsgöttin vorgestellt,
ursprünglich ist sie jedoch
die Große Göttin
der Urgeschichte. Der Hinweis, sie sei die Tochter des Mondgottes,
ist ein wichtiges Indiz, denn der Mond stand regelmäßig für das
weibliche Prinzip, in Anlehnung an den Zyklus der Frau. Mit ihrer
neuen Funktion als Kriegsgöttin, ist sie
Vorläuferin der griechischen Athene,
eine Kopfgeburt des Zeus, und als Liebesgöttin die der Aphrodite.
Der Grad ihrer Zerstückelung ist damit noch nicht weit fortgeschritten.
In
dieser Entwicklung wurden Botschaften beabsichtigt verschlüsselt
und unfreiwillig
erhalten. Unsere spannende Aufgabe ist die Entschlüsselung. Dabei
haben wir mit der Archäologie und Ethnologie wertvolle Hilfsmittel
zur Hand.
[1] Die Abbildung oben
zeigt eine von Zehntausenden weiblicher Statuetten, die die Muttergöttin
darstellen.
[2] Vergleiche dazu zur Funktion von Königslisten in Quelle 4, Seite
22 unten.
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