In der Höhle wurden in den vergangenen Jahren schon einige herausragende, aber deutlich jüngere Objekte geborgen: der sog. Löwenmensch, ein kleiner Wasservogel, ein Pferdeköpfchen, alle aus Mammut-Elfenbein, eine Knochenflöte und ein längliches Steinwerkzeug. Der neue Fund wurde aus Mammut-Elfenbein geschnitzt und ist knapp 6 cm hoch. Anstelle eines Kopfes befindet sich oben eine kleine geschnitzte Öse. Die Statuette wurde offenbar als Amulett an einem Halsband getragen. Die Arme und Beine sind angedeutet, die äußeren Geschlechtsmerkmale sind überproportioniert dargestellt. Der Körper ist mit Linien-, Zick-Zack- und Bogen-Gravuren versehen, die die Arme, Brüste, die Taille, den Bauch und den Nabel betonen.
Im Bild: Replik der "Venus" vom Hohle Fels (Offizielle Replik), Foto: Gabriele Uhlmann
Die Statuette wird von offizieller Seite als "kunstgeschichtlich interessant"
bewertet, als ein besonders früher Ausdruck künstlerischen Schaffens
des Homo Sapiens. Auch sie wurde in die Reihe zahlloser vergleichbarer
Statuetten aus ganz Europa eingereiht, und bekam den Titel "Venus"
verliehen. Die offizielle kunstgeschichtliche Einordnung ist überaus
fragwürdig, verrät aber viel über die Gegenwartskultur. In den Presse-Veröffentlichungen
wird sie als "nach heutigen Maßstäben an Pornografie grenzend" besprochen,
"das Stück" sei "aufgeladen mit sexueller Energie", einem "Brathähnchen
ähnlich". Sie wird als "Henny", als "schwäbische Eva", "Frau Fröhlich"
bezeichnet. Der Chef-Archäologe Nicholas Conard vermied leider eine
klare Aussage über den religionsgeschichtlichen Wert des Fundes seiner
Mitarbeiterin Maria Malina zu treffen. Er wolle sich nicht an "Spekulationen
über die Bedeutung heranwagen", schreibt DER SPIEGEL: Er wäre nicht
da gewesen vor 40.000 Jahren, und unter dem Strich hätte er keine Ahnung.
Ausschlachtung - Wem nützt das?
Derart der Lächerlichkeit, der wilden Spekulation und vor allem der
Projektion preisgegeben sind die Funde vom Hohle Fels ein gefundenes
Fressen für die Sensationspresse. Diese schmückt sogar noch weiter
aus, was von offizieller Seite schon vorbereitet wurde. Die Höhle sei
womöglich ein "heißer Sex-Unterschlupf" gewesen, mutmaßt die BILD,
es sei dort auch schon ein "Stein-Dildo" gefunden worden. Die FAZ stellt
die Statuette als Werk eines Einzeltäters hin, das allein aufgrund
seines Alters eine Sensation sei: " ... je weiter zurück die Zeiten
liegen, desto weniger Bedeutung haben Einzelfunde." Zwar "komme das
Sujet bekannt vor", aber eine andere Bedeutung als eine angebliche
eiszeitliche "Vorliebe für Damen mit katastrophalem Body-Mass-Index"
darf sie nicht haben: "ob und was sie mit Sexualität oder Fruchtbarkeit
zu tun habe" sei "völlig offen".
Eingedenk der breiten Leserschaft ist die eigentliche Katastrophe natürlich
in der Berichterstattung selbst zu sehen. Zwar heben sich wenige Artikel
wie z.B. von DER FREITAG oder EMMA deutlich von diesem Niveau ab, wirklich
erhellend sind sie jedoch nicht, da sie über eine Sexismus-Kritik nur
kaum hinauskommen. Eine plausible, auf Fakten beruhende Erklärung,
warum nur eine Deutung als Göttin infrage komme, bleiben sie schuldig.
Derartig verknappt sind die Artikel missverständlich, setzen sich der
berechtigten Kritik an der Matriarchats-These aus und arbeiten so letztlich
der herrschenden Wissenschaft in die Hände.
Die offenen Fragen und die sog. "Rätsel" und "Geheimnisse" der Urgeschichte
lassen sich plausibel auflösen, auch wenn niemand dabei gewesen ist,
vergleichbar Kriminalfällen, die oft allein durch Kombinieren gelöst
werden können. Die quellenkritische Gegenüberstellung kulturhistorischer
Phänomene mit denen nachfolgender oder vorhergehender Epochen sind
eine der wichtigsten Methoden der Geisteswissenschaften, zu denen trotz
der Einführung naturwissenschaftlicher Untersuchungstechnik auch immer
noch die Archäologie gehört. Damit sind Rückschlüsse auf Prozesse möglich,
deren Zusammenschau eine Rekonstruktion kultureller Entwicklung ermöglicht.
Ohne die quellenkritische Gegenüberstellung könnten wir uns kein Bild
von der Vergangenheit machen, gäbe es kein gut lesbares Geschichtsbuch.
Obwohl diese Arbeitsweise auch ohne messbare Befunde brauchbare Ergebnisse
liefert, die immer öfter auch mit neuer naturwissenschaftlicher Technologie
bestätigt werden können, wird sie von Naturwissenschaftlern nicht für
voll genommen.
Wenn aufgrund geisteswissenschaftlicher Methoden nachvollziehbare neue
Sinn- und Interpretationszusammenhänge evident werden, die im Gegensatz
zur herrschenden, patriarchal geprägten Lehrmeinung stehen, wird mittels
eines Hintertürchens der wissenschaftliche Status Quo erhalten. Für
dieses Hintertürchen wird dann die vermeintliche Krone der Wissenschaft
in Form der Naturwissenschaft bemüht. Was mittels naturwissenschaftlicher
Methoden nicht messbar sei, könne auch nicht Gegenstand der Diskussion
sein. Diesem Schema folgend vertritt denn auch Conard in dem erwähnten
Spiegel-Artikel die Auffassung, keine Spekulationen über die Bedeutung
der Statuette anstellen zu wollen, da er nicht vor 40.000 Jahren dabei
gewesen wäre. Diese Aussage ist nicht nur degradierend für einer Vielzahl
von geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen, sondern
auch für Conards eigene Disziplin: die Archäologie. Diese Auffassung
von Wissenschaft stößt auf breite gesellschaftliche Akzeptanz, weil
sie offensichtlich dem allgemeinen Verständnis von Wissenschaft entspricht.
Sie ist jedoch wissenschaftstheoretisch unhaltbar.
Von der Urmutter zum banalen Sex-Idol
Die schon ein Jahrhundert lang verwendete Bezeichnung "Venus" für Mutter-Göttinnen, die uns als römische Göttin der Liebe und Schönheit erinnern soll, mutet im Angesicht des derzeitigen Presseechos beinahe schon fortschrittlich an. Doch auch sie war einst eher ironisch zu verstehen, denn die frühen Archäologen machten sich über das angebliche Schönheitsideal der Altsteinzeit lustig. Die Willendorfer Statuette wurde in einer Zeit gefunden, als Frauen in Korsetts gezwängt wurden. Das Interesse an Urgeschichte war gerade erst geweckt und die einzigen bekannten unbekleideten Frauendarstellungen waren die der antiken Göttinnen und ihre Abbilder auf den Gemälden der alten Meister. Venus war Teil des römischen Pantheons, eine dem obersten Gott Jupiter untergeordnete Göttin, die einen liederlichen Lebenswandel führte. Venus war jedoch aus den älteren Mutter-Göttinnen der regionalen Ethnien hervorgegangen. Ihr mütterlicher Aspekt wurde abgespalten und auf Juno projiziert, welche ein ähnliches Schicksal wie Venus ereilte und zur Ehefrau des Jupiter degradiert wurde.
Die patriarchale Lehre, als Mainstream der Ur- und Frühgeschichte, geht von der stillen Annahme aus, dass immer schon ein männlicher Urvater angebetet wurde. Diese Theorie kann der Faktenlage jedoch nicht standhalten. Seit der Entzifferung der mesopotamischen Keilschrift am Anfang des Neunzehnten Jahrhunderts wurde die herausragende Bedeutung der Göttinnen dieser Kulturkreise, auf die unsere Kultur gründet, immer deutlicher. Die Großen Göttinnen Inanna und Ishtar waren Mutter-Göttinnen, Oberste Göttinnen und Himmelsgöttinnen der Reiche von Sumer, Akkad und des frühen Babylons. Das Patriarchat war trotzdem längst errichtet, die realen Frauen waren weitgehend entrechtet. Es ist daher alles andere als plausibel, dass frühe Herrscher einen vermeintlichen männlichen Ur-Gott zugunsten einer neuen obersten Göttin entthronten. Vielmehr muss es sich zunächst um eine Ur-Göttin bzw. Göttinnen gehandelt haben. Warum auch sollten Patriarchen ein Interesse daran gehabt haben, sich plötzlich auf machtlose Weiblichkeit zu berufen und eine Große Göttin erfinden? Das Gegenteil war der Fall: Mit Mythen versuchten die halbgöttlichen Herrscher die Entmachtung der Großen Göttin zu rechtfertigen. Die Tempelvorherrschaft und damit die Macht über die Getreidevorräte des Volkes lagen noch in weiblicher Hand, und dabei durfte es nicht länger bleiben. Was der frühbabylonische Gilgamesch-Epos noch erfolglos versuchte, setzte schließlich der Enuma Elisch-Mythos mit dem neuen Obersten Gott Marduk um. Die Große Göttin wurde zur Ehefrau des Wettergottes, zur Hure, zur Dämonin. Es ist kein Geheimnis mehr, dass die Mythen politische Ziele verfolgten und Wendepunkte markierten. In Ägypten scheiterte Pharao Echnaton, Ehemann der Nofretete, noch damit, für immer den Sonnengott Aton als alleinigen Gott zu installieren. Das ägyptische Volk liebte seine Große Göttin Isis, die an der Spitze des Pantheons stand und die später mit der Ausbreitung des römischen Reiches bis Irland verehrt wurde. Erst den Mythografen der Bibel gelang es, den Ruf der eisenzeitlichen Göttinnen weltweit und nachhaltig zu zerstören. Durch theologische Projektion der Eigenschaften der Urmutter auf den hebräischen Gott Jahwe, als El einst verheiratet mit Aschera, sollte die Große Göttin entgültig überflüssig werden.
Feministische Theologinnen versuchen diese Bibelstellen als "weibliche Anteile Gottes" auszulegen, eine theologische Spitzfindigkeit, mit der verschleiert wird, dass es über tausend mühselige Seiten braucht, bis sie im Vater-Unser verschluckt sind. Die übrigen "Urvater"-Lehrer schweigen das brisante Wissen am Liebsten tot, so auch in der Berichterstattung des Bildungsfernsehens und eben der Presse. Über die nicht enden wollende Flut immer neuer Beweislast, zu der auch die "Venus" vom Hohle Fels gehört, flüchten sie sich allenfalls schmunzelnd hinweg, ein Kavaliersdelikt? Auch dafür hält die herrschende Lehre ein Alibi bereit seit der Londoner Archäologe Peter Ucko (1967/68) eine Art Interpretationsverbot verhängte. Danach sollen sog. Venusfigurinen nicht mehr als Göttinnen, sondern nur noch als Puppen gedeutet werden. Auch das Problem der bis zum Magdalenien fehlenden männlichen Statuetten ist damit gelöst: einsame Jäger schnitzten sich ein "Sexpüppchen". Es ist unschwer zu erraten, dass auch der einsame Jäger ein weiterer Mythos ist.
Schwestern und Brüder beginnen gemeinsam zu glauben
Die Urmutter ist die früheste religiöse Vorstellung, die u.a. in den Statuetten der Altsteinzeit ihren Ausdruck findet. Sie zeigen eine nicht reale Körperlichkeit. Ihre weiblichen Merkmale sind übertrieben groß, ein Gesicht, das Persönlichkeit verleihen könnte, fehlt immer. Die Gravuren schließen eine profane Deutung der Statuetten aus. Die berühmte Archäologin Marija Gimbutas hat auf zahllosen weiblichen Statuetten bis hin zu den bronzezeitlichen Göttinnen derartige Gravuren als sakrale Symbolik nachgewiesen. Die realen altsteinzeitlichen Frauen waren jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht so üppig gebaut wie die Statuetten dieser Zeit, sondern vielmehr sehr muskulös, solange sie aktiv am Leben teilnehmen konnten. Naturwissenschaftliche Befunde lassen auf große körperliche Fitness altsteinzeitlicher Frauen schließen.
In Anbetracht der Funde glaubt die feministische Theologie, dass Frauen die Göttin erfunden hätten, und rettet damit entgültig die Urvater-Lehre ins dritte Jahrtausend. Aus der Behauptung, dass Frauen sich nur mit einer weiblichen Gottheit "identifizieren" könnten, und Männer analog mit einer männlichen, konstruieren sie die Rechtfertigung eines Gott-Vaters. Das suggeriert, dass altsteinzeitliche Männer einen Vater-Gott gehaben müssten. Ein göttliches Ehepaar finden wir jedoch erst in den spätbabylonischen Mythen.
Altsteinzeitliche Männer konnten keinen Vater-Gott ersinnen, weil ihnen Vaterschaft unbekannt war. Wir müssen uns diese Zeit als eine Zeit von Jugendlichen und Kindern vorstellen, anders als wir es heute gewohnt sind. Die Lebenserwartung war gering, nur wenige Menschen wurden wirklich alt. Dauerhafte Partnerschaften waren den Menschen daher so fremd, wie es bei den Jugendlichen heute der Fall ist. Jeder Mensch lebte in seiner Sippe: mit seiner Mutter, den Geschwistern und den anderen Kindern und Enkeln der Großmutter zusammen, was mit dem Fachbegriff Matrilokalität bezeichnet wird. Die Frauen hatten maximal 3 bis 4 Kinder, dies in der Regel von verschiedenen Männern aus anderen Sippen. Dieses Fortpflanzungsverhalten wird "Exogamie der Matrilokalität" genannt und ist gekennzeichnet von der female choice, der freien, orts- und zeitunabhängigen, lustbetonten Wahl des Sexualpartners durch die Frau, die der Evolution des Menschen entstammt. Bei Männern aus anderen Sippen war natürlich nicht ausgeschlossen, dass sie Kind des eigenen Vaters, den die Frau ja nicht kannte, also Halbbrüder waren. Sie konnten aber nicht als verwandt gelten. Inzest war daher unbewusst möglich, aber - wenn es ihn überhaupt gab - sehr selten. Die Biologie geht eher davon aus, dass aufgrund chemischer Signale Geschwister sexuell gemieden wurden. Einem Kindsvater erwuchs keine Verpflichtung, denn der Zusammenhang zwischen Zeugung und Geburt war nicht klar, die Frau erzog das Kind in und mit ihrer Sippe. Ein Kind gehörte also zu seiner Mutter und deren Schwestern und Brüdern. Jungen wie die Mädchen kannten nur die Verwandtschaft in mütterlicher, matrilinearer Linie. Die altsteinzeitliche Lebensweise wird als Matrifokalität bezeichnet, nicht zu verwechseln mit dem falschverstandenen Begriff Matriarchat (=Mütterherrschaft).
Trost und Liebe hatten ihren Ursprung bei der Mutter oder der Großmutter, sofern diese noch am Leben war. Die Sehnsucht danach, von Männern wie Frauen gleichermaßen erlebt, wurde in der matrifokalen Lebensweise nicht enttäuscht. Es resultierte daraus natürlich die religiöse Vorstellung der Urmutter und nicht des Urvaters. Sie hat bis heute Bestand und treibt im Kirchenpatriarchat eigenartige Blüten. Aus dem Mittelalter kennen wir das Motiv der sog. Schutzmantel-Madonna, das den Klerus als kleine Menschlein unter dem Mantel der Maria zeigt. So etwas wurde natürlich umständlich-theologisch gerechtfertigt und galt nicht als Blasphemie. Hier manifestiert sich die altsteinzeitliche Psychologie der Kirchenfürsten: das von Gott Jahwe unstillbare Bedürfnis nach einer transzendenten Urmutter.
Väterliche Gefühle, die Männer heute kennen, stehen zu den altsteinzeitlichen Verhältnissen nicht im Widerspruch. Ein Mann der Altsteinzeit fühlte Liebe und Verantwortung für die Kinder seiner Schwestern, mit denen er ja blutsverwandt war. Im biologischen Sinne können wir auch davon sprechen, dass er sich nur bei den Kindern der Schwestern sicher sein konnte, dass er sich für die Gene engagierte, die er selbst in sich trug. Erst seit Einführung der patriarchalen Ehe haben Männer die Möglichkeit, diese Gefühle auf ihre leiblichen Kinder zu projizieren.
Urvater - Verzweifelt gesucht
Groß ist immer die Freude über Funde, die mit Männlichkeit assoziiert
werden können. Nicholas Conard und Petra Kieselbach präsentieren im
Katalog zur Eiszeit-Ausstellung in Stuttgart (2009) erneut ein 2005
gefundenes stabförmiges Objekt aus dem Hohle Fels, in dem sie einen
Phallus zu erkennen glauben. "Eindeutig männlich" sei die Form des
Gegenstandes, der in einer jüngeren Schicht (ca. 28.000 Jahre vor heute)
gefunden wurde. Sie schreiben: "Auf der Schwäbischen Alb sind figürliche
Kleinkunstwerke fast ausschließlich auf die Zeit des Aurignacien beschränkt;
das bedeutet, sie sind zwischen 40000 und 30000 Jahre alt. Umso erfreulicher
ist es, dass in den Schichten der darauf folgenden Kulturepoche des
Gravettien ein 19,2 cm langes, 3,6 cm breites und 2,8 cm dickes Steinobjekt
im Hohle Fels entdeckt wurde."
Es sind daran deutliche Gebrauchsspuren zu sehen, das Objekt wurde
also als Werkzeug benutzt, so viel wird auch eingeräumt. Der nach eigener
Aussage ahnungslose Conard und die Co-Autorin bieten eine Deutung an,
die den Wert patriarchaler Propaganda hat: "Unter der Annahme, dass
Phallusdarstellungen bereits damals ein Symbol für schöpferische Kraft
und Fruchtbarkeit waren, könnte der Steinphallus eine Art Kraftübertragung
auf die damit hergestellten Silexwerkzeuge symbolisiert haben, (...)."
Diese Spekulation funktioniert einerseits mit der gängigen Schablone,
nur Männer hätten Steinwerkzeuge hergestellt, andererseits wird der
urväterliche Irrtum zugrunde gelegt. Zusammen mit den von den Autoren
angeführten Beispielen aus der Ethnologie für die Verwendung von Phallussymbolen,
sollen wir uns offenbar vorstellen, dass der Gegenstand mal zum Bohren
und Hämmern verwendet wurde, und dann wieder auf einem Altar zwischengelagert
wurde, wo er dann - vergleichbar dem Lingam in den Tempeln des indischen
Gottes Shiva - kultisch genutzt wurde. Plausibel ist das wohl kaum,
und nicht einmal kunstgeschichtlich kann nachgewiesen werden, dass
ein sakraler Gegenstand derart profan zweckentfremdet wurde. Vergleiche
mit ethnologischen Befunden werden ohnehin als problematisch eingestuft,
weil die meisten Völker längst patriarchalisiert sind, oft sogar erst
unter Mitwirkung ethnologisch "forschender" Missionare, die die Chance
ihrer persönlichen Anwesenheit, etwas über die Matrilinearität dieser
Völker zu erfahren, vertan hatten. Ein Urvater kann für die Altsteinzeit
auch damit nicht nachgewiesen werden.
Sexualität und Fruchtbarkeit versus Nacktheit und Gebärfähigkeit
Urmutter-Statuetten werden mit Fruchtbarkeit in Verbindung gebracht
und fast immer in einem Atemzug auch mit Sexualität. Aus streng wissenschaftlicher
Sicht ist dies ein sorgloser Umgang mit Begriffen, der zu falschen
Ergebnissen führt.
Dem frühen Menschen wird ein schamhafter Umgang mit Nacktheit und die
daraus erst resultierende Sexualisierung von Nacktheit unterstellt,
wie wir sie heute kennen. Von einer Darstellung von Sexualität, welche
ja nicht mit dem Sexus (Geschlecht) identisch ist, kann jedoch nur
zweifelsfrei gesprochen werden, wenn ein Sexualakt oder entsprechende
Symbolik erkennbar ist. Für die Altsteinzeit liegen jedoch keine derartigen
Funde vor. Aus dem Ende der Altsteinzeit, dem Magdalenien sind wenige
Abbildungen von Männern bekannt, diese in unterschiedlichen Kontexten
dargestellt. Bei Abbildungen von Frauen mit Männern können auch Geschwister
gemeint sein, dies wird jedoch fast nie in Erwägung gezogen.
Die erste als gesichert geltende Abbildung eines
Sexualaktes stammt aus der Jungsteinzeit des Nahen Ostens (Ain Sakhri/Judäa)
und ist ca.
10.000 Jahre alt (Natufien-Zeit). Eine Abbildung aus
der neolithischen Stadt Çatal Höyük (Anatolien vor ca. 9000 Jahren),
die ein Paar sowie
eine Frau mit Kind zeigt, wird als sexuelle "Bildergeschichte" gedeutet.
Hier ist Sexualität immer noch etwas sehr Natürliches, wenngleich sich
die Haltung zur Sexualität bald im Verlauf der Jungsteinzeit ändert.
Es ist eine deutliche Zunahme männlicher Symbolik zu verzeichnen, die
ein in Maßen gesteigertes, männliches Selbstbewusstsein belegt. In
Europa bewohnten die bandkeramischen, bäuerlichen Sippen riesige, bis
zu 45 m lange und 7 m breite sog. Langhäuser, in denen die um die 80
Mitglieder der Gemeinschaft Platz fanden. Die in einer bandkeramischen,
ca. 7200 Jahre alten Abfallgrube gefundenen eindeutigen Fragmente eines
Mannes (Adonis" von
Zschernitz) sowie einer vielleicht weiblichen
Statuette sehen die Ausgräber die erste europäische Kopulationsszene.
Mit Bestimmtheit lässt sich aus diesen Plastiken vor allem ablesen,
dass Vaterschaft nun bekannt war. Psychohistorisch gesehen fühlten
sich die Menschen der frühen Jungsteinzeit noch als Kinder ihrer Ahnen,
zu denen nun auch die leiblichen Väter gehörten. In diesem bilinearen
Ahnenkult der ohne die Heiligung der Sexualität gefeiert wurde, stand
nach wie vor die Urmutter im Zentrum, denn die Sippe lebte immer noch
in Matrilokalität (siehe Vorankündigung rechte Spalte).
Die drei Plastiken werden aber oft als frühe Darstellungen des Rituals
der sog. Heiligen Hochzeit gedeutet. Dies entwickelte sich aber erst
in der späteren Jungsteinzeit aus dem ackerbäuerlichen Frühlingsfest,
mit dem die fruchtbringende Sexualität erstmals geheiligt wurde. Die
female choice wurde jetzt erst untergraben, indem Sexualität an einen
Termin und einen Ort gebunden wurde. Die ersten Kalenderbauwerke wie
z.B. Stonehenge (ca. 4500 Jahre alt) belegen das Aufkommen solcher
Rituale für Europa. Im Nahen Osten müssen wir diese Entwicklung entsprechend
früher ansetzen, denn hier beginnt und endet die Jungsteinzeit zwei-
bis dreitausend Jahre früher.
Die Heilige Hochzeit ist ein keilschriftlich dokumentiertes und bereits
patriarchales Ritual, mit dem erstmals eine Große Göttin in Erscheinung
tritt, die - dafür ist die Beweislage erdrückend - aus der Urmutter
hervorging. Gefeiert wurde es in den Tempeln (Zikkurats) der Großen
Göttin der mesopotamischen Stadtstaaten, zu denen auch noch der Turm
von Babylon gehörte. Im Mythos vereinigt sich die Große Göttin mit
ihrem Sohngeliebten, der je nach bäuerlichem Hintergrund ein Vegetationsgott
oder ein Stier ist. Die Hohepriesterin und der König, der im Ritual
seine Legitimation bezieht, haben im Tempel öffentlich Geschlechtsverkehr,
den die Hohepriesterin sicher nicht mehr freiwillig vollzieht. Psychohistorisch
verharrt der Mann noch im Zustand des Sohnes, während die Frau erwachsen
werden muss. Weibliche Autorität auf eine Große Göttin hinwegprojiziert
steht im wirklichen Leben männlicher Herrschaft nicht mehr im Wege.
Aus ihrer matrilinearen Sippe gerissen, hineinverpflanzt in die patrilineare
Familie, verliert die Frau ihren Status als Tochter und wird Dienerin
nicht nur der Sexualität ihres Ehemannes. Die leibliche Mutter ist
so fern wie die Große Göttin, die eine Himmelsgöttin ist. Der Machismus,
die Übersteigerung der Bedeutung männlicher Sexualität, erreicht in
dieser Zeit einen ersten Hochpunkt. Es dauert nicht mehr lange, bis
mit dem Enuma Elisch-Mythos dem männlichen Monotheismus der Weg gebahnt
ist. Mit Gott-Vater schließlich wird die Sexualität wieder aus der
Theologie und dem religiösen Bewusstsein entfernt. Die Zeugung Adams
aus Lehm und die Zeugung Evas aus Adams Rippe durch Gott-Vater wird
daher nicht als fauler Zauber erkannt.
Einerseits wird der Begriff Fruchtbarkeit heute, der landwirtschaftlichen, aus der späten Jungsteinzeit stammenden Tradition folgend, mit Vermehrung gleichgesetzt. Andererseits wird er verwechselt mit Gebärfähigkeit. Für die Altsteinzeit liegen weder Hinweise ökonomischer noch kulturell-religiöser Art vor, dass die Menschen ein Interesse an reicher Nachkommenschaft hatten. Sexualität als notwendiger Voraussetzung bedurfte daher keiner religiösen Beeinflussung, sie war ein natürliches Verhalten wie Essen, Trinken und Schlafen. Nacktheit war selbstverständlich wie die Nacktheit eines Neugeborenen oder eines Tieres, und war primär keine Aufforderung zum Sex. Fruchtbarkeit in des Wortes eigentlicher Bedeutung, nämlich die Fähigkeit ein Kind zu gebären als Folge eines Sexualaktes, war noch unbekannt. Die Fähigkeit zu Gebären wurde daher in einem unilinearen Geburts- und Ahninnenkult von Männern wie Frauen gleichermaßen geheiligt.
Die Urmutter und der Schamanismus
Die "Venus" vom Hohle Fels war mehr als eine Göttin, sie war die Urmutter. Schon vor dem neuen Fund der Urmutter-Statuette vom Hohle Fels waren die urgeschichtliche matrifokale Lebensweise und diese damit einhergehende religiöse Vorstellung erkennbar. Dennoch ist die "Venus" vom Hohle Fels ein wichtiger Baustein bei der Rekonstruktion der alten Glaubensvorstellungen, denn die sog. Schamanismus-These tritt damit noch weiter in den Hintergrund, wie es Nicholas Conard richtig erkannt hat. Schamanismus, also die Geister-Verehrung bei der stellvertretend für die Sippe eine Schamanin oder ein Schamane oft als Tier verkleidet mittels berauschender Substanzen und anderen Trancetechniken versucht, mit der Geisterwelt Kontakt aufzunehmen, wird gemeinhin als älteste Religion der Menschheit bezeichnet. In den berühmten Bilderhöhlen finden sich auch tatsächlich Nachweise für altsteinzeitlichen Schamanismus. Möglicherweise stellt der Löwenmensch aus der jüngeren Schicht im Hohle Fels (30.000 Jahre alt) eine Schamanin oder einen Schamanen dar. Die bekannte Abbildung eines wahrscheinlich männlichen Schamanen in Hirsch-Verkleidung aus der französischen Höhle Les Trois Freres ist mit gerade einmal 15.000 Jahren wesentlich jünger als die "Venus" vom Hohle Fels, steht natürlich ebenso wenig im Widerspruch zur matrilokalen Lebensweise. Schamanismus ist keine Religion, sondern eine religiöse Technik, die an den uralten Ahninnenkult geknüpft wurde und männliche Ahnen erst gegen Ende der Altsteinzeit einbezog. Zu dieser Vorstellung gesellte sich der Animismus, der den Glauben an eine Urmutter auf die gesamte Natur übertrug und damit langfristig auch die geistige Grundlage für die Erfindung der Pflanzen- und Tierzucht war.
Es ist für die Zukunft zu erwarten, dass weitere noch ältere Urmutter-Statuetten gefunden werden, deren Entdeckerinnen oder Entdecker hoffentlich um sorgfältige Interpretation bemüht sind, dies frei von ideologischen Schranken, und so neuerliche Presse-Exzesse im Vorfeld verhindern zum Wohle aller wie sich selbst. Sexuelle Projektionen und Spitznamen sind ebenso unangebracht wie die Streitfrage, wer die Statuette geschnitzt hat: es kann ebenso ein Sohn wie eine Tochter gewesen sein.
Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg:
Katalog zur Landesausstellung in Stuttgart: Eiszeit - Kunst und Kultur,
Esslingen und Ostfildern 2009
Bott, Gerhard: Die Erfindung der Götter: Essays zur Politischen Theologie.
Norderstedt 2009
Gimbutas, Marija: Die Zivilisation der Göttin, Frankfurt a.M. 1996
(am. Originalausg. 1991)
Lerner, Gerda: Die Entstehung des Patriarchats, dtv. 1997 (am. Originalausg.
1986)
Uhlmann, Gabriele: Archäologie und Macht. Zur Instrumentalisierung der Ur- und Frühgeschichte. Norderstedt 2012
Dieser Artikel erschien erstmals in der
Februar-Ausgabe (I/2010) des Online-Magazins MÜTTERBLITZ.
Ohne nähere Kenntnis dieses Textes erteilte die Uni Tübingen dem Mütterblitz noch die Erlaubnis zur
Veröffentlichung eines Original-Fotos.
Meine Anfrage, auch hier das Original-Foto abbilden zu dürfen, wurde von der Uni Tübingen ohne Begründung abgelehnt. Da es mir, wie auch allen anderen
Privatpersonen nicht gestattet ist, Fotos im Museum zu machen, muss ich hier das Foto der offiziellen Replik zeigen.
Die UNESCO hingegen
ist bemüht, Fotos von Weltkulturerbe allen frei zugänglich zu machen.
Dies ergab meine schriftliche Anfrage, die ich wegen des Fotografierverbots
auf der Landesausstellung in Karlsruhe 2007 ("Die
ältesten Monumente der Menschheit - Vor 12.000 Jahren in Anatolien",
siehe auch hier)
stellte. Leider, das bedauert auch die UNESCO, unterliegen die offiziellen
Fotos von Weltkulturerbe der jeweiligen, nationalen Urheberrechtsgesetzgebung.
Ohne anschauliches Bildmaterial sind Interpretationen von Objekten natürlich weniger nachvollziehbar
und damit weniger wert. Leider wird oft, so offenbar auch hier, nur
einem ausgewählten Kreis gestattet, Bildmaterial zu verwenden, was,
wie ich meine, einer Zensur gleichkommt.
Die Fundstätten im Achtal (Hohle Fels, Geißenklösterle, Sirgenstein)
und Lonetal sind Weltkulturerbe, auch wenn sie noch nicht auf
der Liste der UNESCO stehen. Dies wird sich jedoch bald ändern.
Mein Vorschlag für eine "prima"
BILD-Schlagzeile: UNESCO erklärt heißen
Sexunterschlupf zum Weltkulturerbe!
Gabriele Uhlmann im August 2010